Kreiszeitung 20.02.2012

One-Man-Show eines schrulligen Normalos

Von Anna J. Deylitz

SINDELFINGEN. Für seine diesjährige Bühnenproduktion wählte Jürgen Siehr vom Theater Szene 03 das Stück „Die Sternstunde des Josef Bieder" von Eberhard Streul und Otto Schenk. Karsten Spitzer ist der einzige Darsteller.

Man stelle sich vor: Man geht ins Theater und es ist "Schließtag", oder zu gut Deutsch "Keine Vorstellung". Das ist ebenso überraschend für den Besucher wie für den Requisiteur, der eigentlich nur die nächste Aufführung vorbereiten will und nun - vermutlich zum ersten Mal - mit einem Publikum konfrontiert wird. Ein peinlicher organisatorischer Fehler, für den andere Leute zuständig sind, die sich aber nicht schnell herbeizitieren lassen. Was tun? Das Publikum entlassen? Sich verdrücken?

Chefrequisiteur Josef Bieder versucht zunächst die Zeit zu überbrücken, bis jemand Verantwortliches kommt, indem er den Besuchern ein wenig von seinem Beruf erzählt. Was macht ein Requisiteur, was macht die Maske, was tun die Möbler, wo gibt es Überschneidungen bei den Zuständigkeiten? Wie macht man Theaterrotwein (mit Malventee!), wie geht das mit dem Theaterblut. Wofür ist ein Requisiteur verantwortlich? (…)

Er ist ein schrulliger Typ, dieser Josef Bieder, ein Theaterbesessener. Seine heimliche Liebe gilt der Oper und dem neuen weiblichen Requisiteurslehrling. Aber die dreißig Jahre Altersunterschied und das fehlende Talent zum Singen verhindern, dass aus diesen heimlichen Lieben mehr wird. So kommt er vom Hölzchen aufs Stöckchen, erzählt von den guten alten Zeiten, in denen er beim Ballett die Ulanova kennenlernte, und den Nurejew. Er steigert sich in diesen Erzählungen so in die erlebten Situationen hinein, dass er sie nachvollzieht. (…) Er sitzt mit Knieriemen und Schuh da und erzählt von Hans Sachs und den Meistersingern, seiner Lieblingsoper. Kurz, dieser Josef Bieder erlebt seine eigene Sternstunde, hat er sich doch diesen gerade stattfindenden Bühnenauftritt immer erträumt.

Die Rolle des Bieder als Schauspieler zu übernehmen ist einerseits eine Herausforderung und andererseits außerordentlich dankbar, wenn es gelingt, sich in diesen Charakter einzufühlen, ohne den Josef Bieder vorzuführen. Karsten Spitzer gelingt das ausgezeichnet. Bieder in seinem grauen Arbeitskittel, unfreiwillig komisch wie Bieder mit dem Tütü, überzeugend in seiner Verliebtheit in die Requisiteursanwärterin und auch in alles, was ihm an seinem Dreispartentheater lieb ist. Man beginnt, diesen Josef Bieder gern zu haben, in seiner Gradlinigkeit, seiner Schwärmerei und seiner Theaterbesessenheit.

Dem Team Jürgen Siehr (Regie) und Karsten Spitzer ist ein unterhaltsamer, durchaus aber auch zum Nachdenken nicht nur über Beruf und Berufung anregender Abend gelungen. Jenny Spitzer (Technik) überzeugt nicht nur in dieser Funktion, aber mehr sei hier nicht verraten. Auch allen anderen Beteiligten ein dickes Lob: Eine Aufführung, die beschwingt heimgehen lässt.

Weitere Aufführungen am 24., und 25. Februar sowie am 2. und 3. März jeweils um 20 Uhr. An den Sonntagen 19., 26. Februar und 4. März um 18 Uhr. Karten im i-punkt Sindelfingen unter Telefon (07031) 94-325.

 

 

 

Sindelfinger Zeitung 24.02.2012


„Bühne und Leben sind eins“

Theater Szene 03 bringt

„Die Sehnsucht des Josef Bieder“

von Eberhard Streul und Otto Schenk,

Regie: Jürgen Siehr

24.02.2012 - Von unserem Mitarbeiter Bernd Heiden

„Die Bühne muss man ernst nehmen“, sagt Josef Bieder: „Bühne und Leben sind eins.“ Er muss es wissen, denn bei der von Karsten Spitzer gespielten Figur handelt es sich um den Requisiteur eines Dreispartenhauses: Mit Schauspiel, Oper, Ballett kennt sich Josef Bieder aus. Zum Vergnügen des Publikums teilt er dieses Wissen gerne mit.

Dazu muss Josef Bieder allerdings erst seine Scheu vor dem Publikum überwinden: Heute ist Schließtag, und dass so „etwas ganz fürchterliches“ passiert, nämlich der „Zuschauerraum voller Leute“ ist, damit konnte er nicht rechnen. Zum Trost des Publikums gibt sich Bieder aber versöhnlich: „Es ist ja kein böser Wille von Ihnen, dass Sie hier so blöd, so unfruchtbar rumsitzen.“

Von der Scheu geht es schnurstracks zur Selbstvergessenheit, wenn sich Josef Bieder entlang der darstellenden Künste anekdotenreich von Hölzchen zu Stöckchen plaudert, und von dort ist es nur ein kurzer Weg, um kurz vor der Eitelkeit in Richtung Bedauern über die eigene gescheiterte Biografie und die Anfechtungen des Alters abzubiegen: Wie Karsten Spitzer (Bild: z) die komplette Gemütspalette einer Künstlerseele, der Lebensumstände das Rampenlicht verwehrten, knackig und variantenreich auf die Bühne spielt, präsentiert sich mit furioser Komik und herzzerreißender Melancholie gleichermaßen.

Vom Plaudern geht es zum Zeigen: Singend, tanzend, verschiedene Rollen sprechend macht Josef Bieder dem Publikum kurzerhand vor, was die Welt der Bühne seiner Meinung nach im Innersten zusammenhält, und was die gute alte Zeit des Theaters von den allenfalls mediokren modernen Zeiten unterscheidet. „Die meisten Schauspieler können ja gar nicht sprechen, die sprechen wie Sittiche“: Viele Rollen wären in seinen Augen mit Josef Bieder wesentlich besser besetzt als mit den ins Rampenlicht drängenden Schauspielern, das wird rasch klar. „Die tollsten Liebesszenen werden vernuschelt“, ärgert sich Josef Bieder über die Leistung der Darsteller.

Doch ändern kann er daran nichts, allenfalls gewissenhaft die richtigen Requisiten bereitstellen. Und so bleibt Josef Bieder das Lästern. Und das Schwärmen. Über die darstellenden Künste. Und über die junge Kollegin Leni, die allerdings viel zu jung ist für den alternden Requisiteur.

Dem Zuschauer bleibt, sich über dieses furiose Einpersonenstück im Sindelfinger Theaterkeller zu freuen. Weitere Aufführungen um 20 Uhr im Sindelfinger Theaterkeller, sonntags um 18 Uhr: 24., 25., 26. Februar sowie 2., 3. und 4. März.

 

 

 

Kritik SZ/BZ vom Gastspiel in Holzgerlingen am 28.09.2013

 

Requisiteur mit großem Auftritt

 

Regisseur Jürgen Siehr von der Szene 03 hat ein tolles Stück auf die Bühne gebracht

 

04.10.2013 -

 

Von unserem Mitarbeiter Matthias Staber

Heute ist Schließtag. Das Dreispartenhaus, in dem Josef Bieder als gewissenhafter Requisiteur arbeitet, sollte eigentlich geschlossen sein. Und so stellt es eine mittlere Katastrophe dar, als sich Josef Bieder unverhofft mit erwartungsvoll drein blickendem Publikum konfrontiert sieht.

 

„Wir haben doch Eintritt bezahlt", beginnt das Publikum in der Burg unruhig zu murmeln. Denn Karsten Spitzer spielt seinen Josef Bieder dermaßen glaubhaft, als dieser sich anschickt, die Zuschauer nach Hause zu schicken, dass für ein paar Momente die Trennung zwischen Realität und Fiktion verwischt: Großes Theater made in Sindelfingen zu Gast in Holzgerlingen.

 

Na ja, wenn das Publikum schon mal da ist, kann auch ein wenig geplaudert werden. Denn den Laden dichtzumachen „überschreitet bei Weitem meine Konsequenzen", klagt Josef Bieder. Und „dieser Langner", der die Kompetenz hätte, ist partout nicht zu erreichen.

 

Überhaupt findet sich Josef Bieder in diesem Theater „nur von Inkompetenz umge-ben". Das gilt nicht nur für Möbler, Maske, Intendanz, sondern auch für Schauspieler, Sänger, Tänzer. Davon erzählt Josef Bieder gerne. Auch, wenn er dabei ein wenig melancholisch wird. Denn die Lebensumstände haben ihm eine eigene Karriere als Sänger verwehrt. Obwohl er es eigentlich besser könnte als all die jungen Künstler mit ihrer undeutlichen Aussprache und ihren lächerlichen Marotten.

 

Doch alt ist er nun, dieser Josef Bieder. Und er kommt zur Erkenntnis: „So richtig braucht man Jugend erst, wenn man alt ist." Um nicht nur beruflich, sondern auch in der Liebe noch einmal durchzustarten. Auch davon erzählt Josef Bieder gerne, der mit seinem unverhofften Auftritt vor Publikum noch einmal eine Sternstunde erlebt, die witzig ist und anrührt: Eine Sternstunde auch für das Publikum. (...)